Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte sich in einem Vorabentscheidungsersuchen (AZ C-583/12) mit der Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22.07.2003, über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen und die daraus resultierenden Zuständigkeitsfragen, zu befassen.

Bei der Einfuhr von Waren aus der Ukraine in das Gebiet der Europäischen Union (hier Estland) hatten die Zollbehörden, auf Hinweis des Inhabers eines Geschmacksmusters, die betreffenden Waren zurückgehalten. Das Zollamt setzte die Überlassung der betreffenden Waren an den Importeur aus, um eine ergänzende Untersuchung der Rechtmäßigkeit der Waren durchzuführen. Hierbei stellte das Zollamt fest, dass die Flaschen eine große Ähnlichkeit mit dem Geschmacksmuster der Hinweisgeberin hatte.

Aufgrund dieser Feststellung hielt das Zollamt die Waren zurück, da diese im Sinne der Verordnung Nr. 1383/2003 ein Recht geistigen Eigentums verletze.

Der Importeur erhob daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Tallin, welches feststellte, dass es hier auf Seiten der Zollbehörde zu Verfahrensfehlern gekommen sei und ordnete die Überlassung der Ware an den Importeur an. In der Berufungsinstanz wurde das Urteil des Verwaltungsgerichtes vom Berufungsgericht Tallin aus einem anderen Grunde bestätigt, da nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1383/2003 den Zollbehörden nicht die Befugnis zustehe, selbst über die Rechtmäßigkeit der betreffenden Ware zu entscheiden. Die Inhaberin des Geschmacksmusterrechtes hatte ein Verfahren zur Feststellung der Verletzung ihrer Rechte am geistigen Eigentum nicht eingeleitet, weshalb die Waren nach Ablauf der Frist gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 – 10 Tage – zurückzuhalten.

Das Zollamt legte danach Kassationsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof ein und zweifelte an der Richtigkeit der Auslegung des estnischen Rechtes durch das Berufungsgericht. Es wurde vorgetragen, dass das estnische Recht den Zollbehörden die Befugnis einräume, von Amts wegen ein kontradiktorisches Verfahren durchzuführen, um in der Sache selbst über das Vorliegen der Verletzung eines Rechtes geistigen Eigentums zu entscheiden.

Der Oberste Gerichtshof setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH nunmehr die Frage vor, ob Art. 13. Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 auch dahingehend ausgelegt werden könne, dass das dort genannte Verfahren auch bei den Zolldienststellen durchgeführt werden könne, oder ob die in Kapitel 3 der Verordnung genannte „zuständige Stelle“ von den Zollbehörden abweichend sein müsse.

Der Europäische Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Verfahren nach der Verordnung Nr. 1383/2003 im Grundsatz auf die Initiative des Verletzers hin eingeleitet werden sollen. Zwar steht es den Zollbehörden frei, bestimmte Waren im Wege einer vorübergehenden Maßnahme zurückzuhalten. Derartige Maßnahmen werden jedoch von Amts wegen ergriffen, um für den Rechtsinhaber einen Antrag auf Tätigwerden der Zollbehörden in den gemäß Art. 5 ff. der Verordnung Nr. 1383/2003 vorgesehenen Form, zu stellen.

Demnach kommt dem Inhaber des Rechtes geistigen Eigentums zwar eine wesentliche Rolle im Verfahren auf Grenzbeschlagnahme zu, damit in seinem ureigenen Interesse die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden und nachgeahmte Ware und unerlaubt hergestellte Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen nicht auf den Markt gelangen. Allerdings darf dieser Umstand nicht dazu führen, dass die Zollbehörden an jeglichem Handeln im Sinne der Verordnung Nr. 1383/2003 gehindert seien, wenn der Rechteinhaber nicht die Initiative ergreife.

Schließlich sei die Verordnung auch mit dem Ziel erlassen worden, dass das Inverkehrbringen von Waren verhindert werden solle, die nicht nur die Rechte geistigen Eigentums verletzen, sondern auch die Verbraucher täuschten und sie mitunter Gefahren für ihre Gesundheit und ihrer Sicherheit ausgesetzt seien. Aus diesem Grunde könnten sich auch andere Personen, als die Inhaber dieser Rechte, auf ein Interesse an der Feststellung an der Verletzung solcher Rechte berufen, um diese Gefahren auszuschließen.

Der EuGH stellt somit zunächst fest, dass die Verordnung Nr. 1383/2003 nicht nur den Schutz privater Rechte bezwecke, sondern auch dem öffentlichen Interesse diene.

Dabei, so die Entscheidung des EuGH, treffe die Verordnung Nr. 1383/2003 keine Regelungen über die Zuständigkeit für die Sachentscheidung. Weder nach Art. 10 der Verordnung, noch aus Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1383/2003 lasse sich erkennen, dass der Unionsgesetzgeber die Staaten verpflichten wollte, die Zuständigkeit für die Sachentscheidung einer bestimmten Behörde vorzubehalten. Es wurde sich vielmehr in der Verordnung darauf beschränkt, die Feststellung, ob ein Recht geistigen Eigentums verletzt sei, auf die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedsstaates zu verweisen. Damit ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass auch eine andere Behörde oder Stelle, als ein Gericht, für die Sachentscheidung zuständig sein könne.

Weiter weist der EuGH darauf hin, dass auch aus den Vorschriften des TRIPS-Übereinkommens, welche nach ständiger Rechtsprechung integraler Bestandteil der Unionsordnung seien, hervorgehe, dass die Wahrung der Rechte geistigen Eigentums auch durch Sachentscheidungen in Verwaltungsverfahren sichergestellt werden können.

Auf die Vorlagefrage des Obersten Gerichtshofes vom 05.12.2012 hat der EuGH somit entschieden, dass die Verordnung Nr. 1383/2003 nicht dahin auszulegen sei, dass sie grundsätzlich einer nationalen Bestimmung entgegenstehe, die einer Verwaltungsbehörde die Feststellung übertrage, ob ein Recht geistigen Eigentums verletzt sei.

Autor: Rechtsanwalt Felix Seehausen, LL.M.